Der Weihnachtsklassiker mal ganz ohne Heinz Rühmann

 Der Fernsehfilm "Die Feuerzangenbowle" gehört zur Weihnachtszeit wie Lebkuchen oder Stollen.Kaum ein Jahr, an dem nicht die x.-te Wiederholung des Fernsehklassikers mit Heinz Rühmann auf dem Bildschirm erscheint - auch wenn die Handlung überwiegend im Frühling oder Sommer spielt. Gerne gerät in Vergessenheit, dass das Ganze auf einer Buchvorlage von Heinrich Spoerl beruht, den heute wohl auch nur die wenigsten kennen. In der von Götz Alsmann gelesenen Hörbuchversion rückt nun das Original der Streiche und Abenteuer des Primaners Hans Pfeiffer (mit drei F...) an einem Kleinstadtgymnasium vor ca. 100 Jahren oder mehr in den Mittelpunkt.

Ursprünglich 1933 geschrieben, fehlen der Hörbuchversion einige der Töne, die mir bei der Filmversion von 1944 immer unangenehm aufgefallen sind. Da war, bei allem scheinbar unpolitischem Spaß, der Geschichtslehrer für mich immer schon der Nazi im bürgerlichen Rock des Kaiserreichs. Alsmann, der in einigen zwischengeschalteten Liedern auch als Sänger zu hören ist, bringt ironische Leichtigkeit in die bekannte Geschichte. Natürlich dürfen auch die Sprachfehler und Dialekte der Lehrer, allen voran der "Schnauz" und die rheinische Frohnatur "Bömmel", nicht fehlen.

Zum Inhalt muss ich wohl nichts sagen - Schriftsteller Hans Pfeiffer wird auf einem alkohollastigem Abend mit Feuerzangenbowle von seinem deutlich älteren Freundeskreis inspiriert, noch einmal aufs Gymnasium zu gehen. Denn auf dem Gut seines Vaters wurde er von einem Privatlehrer erzogen, hatte also keine Erfahrung mit dem Schulalltag, Schülerstreichen und Exzentrikern im Lehrerzimmer. Ist der Filmklassiker ganz auf Hans Rühmann zugeschnitten, werden in der Buchversion die anderen Schüler mehr charakterisiert und beim Hinhören wird klar: Mobbing gab es auch anno dazumal. Klein zu sein und obendrei intelligent, das ist ganz schlimm, löst die Kombination doch offenbar automatisch die Beißreflexe des übrigen Schülerrudels aus. Überhaupt ist auch der Hans Pfeiffer des Buches nachdenklicher und die Nebenfiguren weniger lächerlich.

Zum Schmunzeln taugt allerdings auch die gelesene "Feuerzangenbowle". Alsmann trifft den leichten Ton, aber auch die Ironie und persifliert gekonnt die Spießeridylle von Babenhausen, Autoritätshörigkeit und Verklemmtheit der damaligen Zeit. Über die Primaner lachen kann man dagegen auch nach all den Jahren immer noch.

Heinrich Spoerl, Die Feuerzangenbowle

gelesen von Götz Alsmann

Roof Musik, 2022, ungekürzte Fassung. 12.00 Euro

 9783864846946

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